STANDARD: Muss man als Bäcker als Frühaufsteher geboren sein, oder kann man sich das aneignen?

Brandl: Man kann da sicher auch hineinwachsen. Vor allem ist es ein Vorteil, da auch das Dienstende früher ist und man mehr vom Tag hat. Aber der Bäcker von heute ist sicher nicht mehr nur der klassische Nachtarbeiter. Es gibt viele Tätigkeiten, die sich eher in den Tag hineinziehen.

STANDARD: Die Bäckerei Brandl gibt es in Linz seit 131 Jahren. Sie haben ja quasi von Geburt an den Duft des Brotes eingeatmet. War es für Sie immer klar, Bäcker zu werden und vor allem den elterlichen Betrieb dann 1998 zur Gänze zu übernehmen?

Brandl: Die Frage, ob ich den Betrieb übernehmen will, ist mir gar nicht gestellt worden. Das war eine andere Zeit. So wie der Großvater und der Vater habe ich das Bäckerhandwerk nicht erwählt, es wurde erwartet, dass ich in den Betrieb einsteige. Vor allem auch, weil meine drei Schwestern kein Interesse hatten. Ich wollte eigentlich Fotograf werden. Die Leidenschaft und Liebe für das Bäckerhandwerk ist dann erst mit den Jahren gewachsen. Und geblieben: Stadtbäcker zu sein ist für mich unglaublich faszinierend.

STANDARD: Ist es ein Vorteil, einen Traditionsbetrieb weiterzuführen, weil man bereits einen Namen hat? Oder vielmehr eine Bürde, weil man die Last der Familiengeschichte auf den Schultern trägt?

Brandl: Es hat wie alles im Leben Vor- und Nachteile. Aber es hat bis dato gut funktioniert. Natürlich macht man manches anders als die Vorgängergeneration. Aber mein Vater hat mir nie grob hineingeredet. Wenn die Zahlen gepasst haben, war er immer zufrieden.

STANDARD: Sehen Sie sich selbst noch als der klassische Handwerker oder doch deutlich mehr als Unternehmer?

Brandl: Auf alle Fälle der klassische Handwerksbäcker. Ich brauche jedenfalls das Gefühl, in der Backstube zu stehen. Mittendrin zu sein, wenn das Mehl staubt und das frische Brot duftet. Ich liebe es, meine Hände im Teig zu versenken. Kneten ist mein Lebenselixier. Aber natürlich muss man auch Unternehmer sein, sonst gäbe es den Betrieb nicht mehr.

STANDARD: Die Bäckerei Brandl lebt vor allem auch vom Image, nicht nur von der Qualität. Modernes Ambiente, auffallende Werbelinie, Österreichs erste Schaubäckerei. Reicht der gute Sauerteig allein heute nicht mehr, um die Leute zu begeistern?

Brandl: Vor allem ist mir die Transparenz wichtig. Unsere Kunden müssen sehen, dass wir tatsächlich mit regionalen Produkten arbeiten, alles händisch geformt wird und wir keine Zusatzstoffe verwenden. Das Design und das Marketing sind eigentlich nur die Abrundung. Natürlich braucht es ein Gesamtkonzept. Die Geschichte zum Produkt muss stimmig sein – eben gutes Brot und Erlebnis. Am Ende des Tages müssen die Kunden, aber auch meine Mitarbeiter zufrieden sein.

STANDARD: Trotzdem wird Ihnen anscheinend mit auffallender Regelmäßigkeit der Horizont in Ihrer Backstube zu eng – und es gibt Parallelprojekte. Jüngst etwa das Buch “Der Brandl und seine Freunde”, in dem Sie die Kunst heimischer Haubenköche in Ihre Backstube geholt haben. Inwieweit treibt Sie da die Mission, den Menschen zu vermitteln, dass Brot eben mehr als nur eine Beilage ist, mehr als nur eine Trägerfunktion für Wurst und Käse hat?

Brandl: Wenn man täglich händisch ausschließlich mit regionalen Zutaten arbeitet, ist das ein wunderschönes Handwerk, für das man sich nicht zu verstecken braucht, sondern das man ruhig herzeigen darf. Es gilt, ein ganz spezielles Gefühl zu vermitteln. Haben Sie schon einmal einen Teig so richtig gespürt?

STANDARD: Maximal das Kleben an den Fingern …

Brandl: Dann müssen Sie künftig deutlich mehr Gespür für den Teig entwickeln. Man muss sich auf den Teig einlassen, nicht einfach nur bearbeiten. Wie fühlt er sich an, wann ist er geschmeidig genug, hat er genug Spannung, wie lange braucht er noch zum Rasten. Es ist letztlich eine echte Liebesbeziehung.

STANDARD: Der Satz von Pythagoras “Das Universum beginnt mit dem Brot” hat also für Sie heute noch seine Gültigkeit?

Brandl: Mehr denn je. Brot hat gerade in den letzten Jahren zum Glück wieder einen sehr hohen Stellenwert bekommen.

STANDARD: Ohne jetzt Ihre teigige Liebe infrage stellen zu wollen: Aber hat der gemeine Konsument nicht schon längst die Lust am Genuss verloren? Satt muss es machen und der Preis muss stimmen, oder?

Brandl: Das glaube ich nicht. Vielen Menschen ist es doch wichtig, was auf den Teller kommt und wie damit umgegangen wird. Dass die Produkte aus der Region kommen und von Menschen und nicht von Maschinen gemacht werden. Und es wird auch geschätzt, dass wir darauf achten, dass von unserem Gebäck am Ende des Tages nichts in der Mülltonne landet. Kunden, die Brot als reinen Sattmacher sehen, kommen auch nicht zum Brandl. Unsere Kunden sind die, die auch zum Fleischhauer gehen, am Markt ihr Gemüse kaufen. Jeder Mensch hat andere Wertigkeiten. Für die einen ist es der Porsche, für andere sind es eben gesunde Lebensmittel.

STANDARD: Aber es tobt doch ums Brot der absolute Preiskampf. Die Backshops in den Supermärkten tun der Branche extrem weh. Unzählige Betriebe, auch Traditionsbäckereien, haben in den letzten Jahren zugesperrt.

Brandl: Das stimmt schon. Aber natürlich haben auch Backshops ihre Berechtigung. Es ist eben eine andere Qualität. Was das Bäckersterben betrifft, kann man nicht allein den Supermärkten die Schuld geben. Manche Bäcker haben sich eben einfach zu wenig vom Mitbewerber abgehoben. Aber der Trend ist zum Glück schon wieder rückläufig: Es gibt wieder deutlich mehr erfolgreiche Handwerksbäcker. Schwer haben es immer noch die, die dazwischen ihr Glück versuchen – nicht Fisch, nicht Fleisch sind.

STANDARD: Sie haben vorab gesagt, Sie wollen kein “Jammer-Interview” machen. Dennoch: Gibt es tatsächlich keinen Grund zu klagen? Während der Corona-Zeit waren ja Bäcker zwar durchaus noch auf der Gewinnerseite, weil offen im Lockdown. Heute heißt es aber längst “Alarmstufe Brot” – die explodierenden Rohstoffpreise, die hohen Energiekosten lassen die Umsätze der Bäcker zerbröseln. Wie schwierig ist die aktuelle Lage?

Brandl: Natürlich ist die Situation aufgrund der steigenden Kosten schwieriger geworden. Aber es ist machbar. Es besteht noch nicht die Gefahr, dass die Öfen kalt bleiben. Unsere wichtigste Ressource sind unsere Mitarbeiter. Mit ein Grund, warum wir jetzt seit dem Sommer immer am Montag geschlossen haben. Wir wollen mehr Lebensqualität für unsere Mitarbeiter.

STANDARD: Trotzdem waren es etwa 1980 noch 102.051 Lehrlinge in ganz Österreich in der Sparte Gewerbe und Handwerk, wo auch die Bäcker beheimatet sind. 2021 waren es nur noch 46.874. Warum ist es so schwierig, junge Menschen für das Handwerk zu begeistern?

Brandl: Lehrlinge zu finden ist im Moment tatsächlich sehr schwierig. Aber es ist in allen Branchen gleich. Da ist eben auch ein Wandel in der Gesellschaft passiert. Du hast heute junge Bäckerinnen und Bäcker, die sagen, sie wollen nicht mehr 38,5 Stunden arbeiten. Man muss sich da als Unternehmen auch anpassen. Ich habe Mitarbeiter mit einer Vier-Tage-Woche, und es funktioniert wunderbar.

STANDARD: Spannend ist ja, dass Sie sich konsequent gegen eine Expansion stemmen. Warum nicht mehr als die zwei Geschäfte in Linz?

Brandl: Mir ist die Qualität extrem wichtig. Und mit einem Wachstum läuft man auch Gefahr, dass diese leidet oder gar abnimmt. Also lieber klein, dafür fein.

STANDARD: Fühlt man sich als Unternehmer in diesen fordernden Zeiten von der Politik genug unterstützt?

Brandl: Es gab und gibt Hilfen für Unternehmen. Aber wahrscheinlich gibt es auch Verbesserungsbedarf. Ich verlasse mich jedenfalls nicht auf die Politik, sondern backe lieber meine eigenen Brötchen. (Markus Rohrhofer, 1.1.2023)

Am 14. August 1891 legte Alois Brandl in der Linzer Grünauerstraße mit der Gründung der ersten Brandl-Bäckerei den Grundstein für den Familienbetrieb. 131 Jahre später gibt es heute zwei Filialen in der Linzer Innenstadt mit 30 Mitarbeitern. Der Klassiker ist bis heute wohl das handgemachte “Brandl-Semmerl”. Damit und mit etlichen anderen Produkten aus dem Backofen erwirtschaftete das Unternehmen 2021 einen Umsatz von rund drei Millionen Euro.