Das echte Flesserl

» Es gibt einige sprachliche Ausdrücke, die eine Oberösterreicherin sofort als solche outen. Oftmals genügt schon eine kleine Satzendung, „goi?“ Das unverkennbare „neta“ (nur) oder auch der neunte Buchstabe in „überhaupst“ zählen dazu. Und dann gibt es noch ein besonders typisches Wort, das jedoch mehr als nur ein Ausdruck des Dialekts ist. Es erzählt ein Stück Heimatgeschichte und zeugt von handwerklicher Tradition. Zu hören bekommt man es von der Oberösterreicherin daher auch in einer Wiener Bäckerei: „Ein Mohnflesserl, bitte!“

EINE ALLTAGSSZENE. Folgt darauf die Verständnisfrage des städtischen Gegenübers hinter der Brottheke: „Meinen Sie ein Mohnweckerl?“ – so fühlt sich das für die Kundin beinahe wie ein Affront an. Sie bejaht widerwillig. Ihr Blick wandert zur Seite. Da! Ein verständnisvolles Grinsen eines Mitwissenden. Davon gibt es viele in der Hauptstadt. Nicht ohne Grund bemerkte ein Alt-Landeshauptmann einmal launig, Wien sei die zweitgrößte Stadt Oberösterreichs. Rund 70.000 Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher leben derzeit in Wien. Mehr Landsleute werden sonst

nur in Linz am selben Ort gezählt. Zurück zum Mohnflesserl: Man erkennt das kleine Gebäckstück an seiner zum (Einstrang-)Zopf geflochtenen Form und daran, dass es dick mit (Blau-)Mohn bestreut ist. Es besteht aus einem Weizenteig, ähnlich dem einer Semmel. Die Flechtung und der Backprozess geben ihm den besonderen Geschmack. Kommt auch noch ein Extra oben drauf – nämlich Salz –, ist es typisch oberösterreichisch.

SALZKAMMERGUT. Doch warum ist das gesalzene Mohnflesserl eigentlich gerade in Oberösterreich so beliebt? Alte Quellen verweisen auf das „Linzer Salzflößel“, das im späten 19. Jahrhundert gebacken wurde. „Das Salzkammergut befindet sich zum Großteil in Oberösterreich und deshalb war und ist das Salz immer noch ein wichtiger Bestandteil des Landes. Früher wurde das Salz auf Holzflöße gebracht und stromabwärts auf Flüssen transportiert“, schildert Christopher Lang. Der 29-Jährige ist Brotsommelier – einer von insgesamt nur drei in ganz Österreich. „Das Linzer Salzflößel war ein mit Salz bestreutes Gebildebrot. Seine Form erinnerte an ein Floß. Da- raus hat sich das Mohnflesserl entwickelt“, sagt Lang, der die Backstube der Bäckerei Brandl in Linz leitet. Ge- meinsam mit Bäckermeister Franz Brandl hat er Originalrezepte gesam- melt und in einem Buch („Geheimnis- se aus der Backstube“) zusammengefasst. Autorin Katharina Seiser hat die Texte beigesteuert.

Sie bezieht sich auf eine Zeitschrift für österreichische Volkskunde aus dem Jahr 1902. Max Höfler schrieb darin: „In der Stadt Linz ist ein eigentümliches Gebildbrot üblich, welches ,Flössel’, oder, wenn mit Salz oder Mohn bestreut, auch ,Mohnflössel’ oder ,Salz- flössel’ genannt wird.“ Allerdings sah dieses Flössel noch anders aus: Drei der heutigen Form entsprechende Flesserln waren nebeneinander wie zu einem Floß zusammengebacken.

OPFERGABE. Höfler nahm aufgrund der Form und des damals beschränkten Vorkommens „an der flossbaren Donau bei Linz“ an, dass es mit der Schifffahrt zu tun hatte, vielleicht als Opfergabe vor oder nach einer Donaufloßfahrt diente. „Er monierte, dass es im Aussterben begriffen sei. Zum Glück zeigte sich das Mohnflesserl unbeeindruckt von seiner Prognose“, freut sich Kulinarik-Expertin Seiser.

Die „Dosigen“ und „Zuagroasten“ in Linz und darüber hinaus essen das gebutterte Mohnflesserl nicht nur mit pikantem Belag, sondern gerne auch mit Marmelade oder Honig.

TIPP VOM PROFI. Egal wie, Hauptsa- che „nicht mit dem Mohn sparen!“, sagt Christopher Lang. Auf seiner Website und in Backkursen gibt er praktische Tipps. Der Bäcker stammt eigentlich aus dem Burgenland, bis zu seiner Ausbildung in Wels hat er das Mohnflesserl nicht gekannt. Heute macht er bis zu 100 davon täglich. „Ich habe auch in Wien gearbeitet. Da waren Kipferl und Salzstangerl nach den Semmeln das Hauptgebäck. In Oberösterreich habe ich überraschend fest- gestellt, dass gleich nach den Semmeln die Mohnflesserl kommen.“

Gutes Gebäck ist ein Handwerksprodukt, dessen Qualität von vielen Fak- toren abhängt: von den Ausgangsprodukten, den Kenntnissen und vor allem auch von Zeit. „Und die nehmen sich nur noch wenige“, bedauert Christopher Lang, der eine Rückbesinnung auf diesen Wert vorantreiben möchte. Das Mohnflesserl hat auch er schnell lieben gelernt. Eine Tradition mit Suchtfaktor. «

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