Backzettel als Nachhaltigkeitsbeauftragter

Wie funktioniert es aber, dass jeden Morgen von Montag
bis Samstag frisch gebackenes Handgebäck nicht lange auf die Kundschaft warten muss? Der Tag in der Bäckerei Brandl beginnt am Vorabend. Die Kommandozentrale ist ein vergleichsweise winziges Büro, ein Durchgangszimmer, in dem immer irgendwer steht, kommt, geht, telefoniert, an etwas frisch Gebackenem knabbert, Bestellungen notiert. Die Wand ist bis zur Decke mit Ordnern gefüllt, die eines der Erfolgsgeheimnisse des Unternehmens bergen: die Backzettel für jeden Tag, an dem die Bäckerei geöffnet hatte, viele Jahre zurück. Für jeden Backtag wird am Vorabend ein Backzettel ausgefüllt. Darauf steht, von welchem Gebäck und Brot und von welcher Mehlspeise am nächsten Morgen wie viel gebacken werden soll. Wie diese Zahlen zustandekommen, folgt einem raffinierten System. Es werden nicht nur das Kaufverhalten des vergangenen Tages und Bestellungen eingerechnet, sondern auch Feier- und Wochentage, Wetter und Ferien beachtet, mit Vorjahren verglichen und darüber hinaus genau verzeichnet, was heute in der Bismarckstraße und in der Filiale in der Landstraße übriggeblieben ist. Das ist nicht nur manchmal, sondern immer erstaunlich wenig.Warum das so interessant ist? Weil diese Zettel die Basis für gelebte Nachhaltigkeit und ein gesundes Unternehmen sind. Seit durch den Film »We Feed the World« bekannt geworden ist, dass in Wien jeden Tag so viel Brot entsorgt wie in Graz benötigt wird, stehen Bäckereien im Fokus der Kritik an der Wegwerfgesellschaft. Brot ist zwar nur eine Ausprägung davon, aber eine recht griffige. Weil die Kundschaft in Supermarktfilialen und großen Bäckereiketten abends angeblich das volle Sortiment vorfinden möchte, wird dort den ganzen Tag aus Tiefkühlware, die oft noch mit Abkürzungen bei Zutaten und Prozessen hergestellt wurde, nachgebacken. Dass Unmengen übrigbleiben, versteht sich von selbst. Brot, das in der Regel weggeschmissen wird.
Bei Brandl geht man andere Wege.

Text: Katharina Seiser (Auszug aus dem ausverkauften Backbuch “Geheimnisse aus der Backstube”
Foto: Tom Mesic

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